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 Der Tag danach


18:00 Uhr, Sonntag 03.Oktober 2004

Der Tag nach der Party.

Der Platz gleicht einem kleinen Schlachtfeld, aber die Schlacht die hier geschlagen wurde, war nicht gegen den
grauen Alltag oder als Flucht aus selbigen gedacht. Ich habe mir hier einen Traum erfüllt. Ein persönliches Jahrhundert-Geschenk.
Und nun stehen wir mitten in den Resten, wie Zwerge in einem Berg Verpackungen. Das Karussell ist wieder in seinem Packwagen verstaut.
16 Tonnen Eisen, Holz, Kabel, Planen und bunte Lichter waren in liebevoller Kleinarbeit zusammengeschraubt und sind nun wieder transportfähig verpackt. Nun heißt es Abschied nehmen. Vier Tage haben wir zusammen auf diesem Platz gearbeitet, haben Kaffee in uns hineingeschüttet, uns gegenseitig kennen gelernt und den Grundstein für eine neue, beginnende Freundschaft gelegt. Kaum zu glauben, dass es nur vier Tage waren, aber es beherrscht mich das wehmütige Gefühl ähnlich wie das einer Abschlussklasse, wenn alle in der Aula von einander Abschied nehmen. Und da ist er schon, ein dicker Kloß schiebt sich in meinen Hals und schnürt mit die Luft zum Atmen ab. Wir umarmen uns innig und nach einem leisen krächzenden „Danke“ drückt mir der Kloß das Wasser in die Augen (wie peinlich).
Im Nachgang weiß ich, dass ab diesem Zeitpunkt auch eine riesige Last von mir gewichen ist, denn letztlich hatte ich als Veranstalter die Verantwortung, und ich war froh, dass alles reibungslos zum Abschluss gekommen war.
Der Motor der Zugmaschine  stößt kraftvoll eine dunkle Dieselwolke in den blauen Himmel. Karussellmann Günter lässt das Horn ertönen, und dann schleppt er den über 10m langen Packwagen vom Platz. Wir werden uns wieder treffen, das ist beiden Seiten klar!

Noch eine ganze Weile sitze ich regungslos in Elmars, leicht zynischem Geburtstagsgeschenk, einem schon ziemlich angeschlagenem AOK-Shopper (Rollstuhl) der obendrein auch noch auf der linken Seite Luft verliert, er soll mich an mein fortgeschrittenes Alter erinnern und gibt mir die Gelegenheit, mich an die Gebrauchsgegenstände des Alters zu gewöhnen. Aber in diesen Minuten fühle ich weniger Schwäche in den Beinen als in der Seele, aber dennoch bin ich dankbar für den Shopper, er bietet den Nieren und dem Rücken Schutz vor Kälte, und mit netten Kommandos an meine Helfer bin ich sogar im Sitzen beweglich und bequem über den Platz zu schieben. Wenn ich es geschickt anstelle, könnte sich aus diesem Vehikel  eine prima Kommandokanzel entwickeln. Allerdings, im Sitzen pinkeln ist hier auch nicht möglich.

Um mich herum wird weiter abgebaut, geräumt und entsorgt, aber fest wie ein Felsen in der Brandung halten wir, besser gesagt Atze, den Bierausschank tapfer geöffnet, schon allein wegen der hereinbrechenden Dunkelheit, soll er uns bis zu Letzt mit dem nötigen Licht  versorgen, natürlich auch mit Bier. Es kommen wieder Besucher. Nette Besucher, die den Abend zuvor miterlebt haben und vielleicht auch ein Bischen neugierig sind, wie sich der Platz ohne Glämmer und Klamauk anschauen lässt. Meine Stimmung steigt wieder, nicht zuletzt mit jedem weiteren Glas von Atze’s gezapften Kölsch und ich gebe Anweisung, die bereits verstauten Heizsonnen wieder aufzustellen, um dem illustren Kreis die verdiente Wärme zuzuführen.

Es dämmert und ich nehme mir ein wenig Zeit um über die vergangenen Stunden nachzudenken. Ich frage mich, „war es den Aufwand wirklich wert den Ich getrieben habe?“
Meine Gedanken verzettelten sich in ein stummes Selbstgespräch. Was wollte ich wirklich mit dieser Megaparty erreichen? War es nötig diesen Traum, wie aus einer unerschöpflichen Geldquelle zu finanzieren? Die Antwort wollte ich nicht abwarten und als mittelmäßig verdienender Beamter aus einer Arbeiterfamilie hätte ich, wenn die Vernunft gesiegt hätte, mir Selbstvorwürfe in bester Qualität um die Ohren hauen müssen. Aber Gott sei Dank hat in diesem Fall das Gefühl die Oberhand behalten und der Vernunft eine Absage erteilt. Nicht nur das ich ab und an sehr nah am Wasser gebaut habe, ich bin auch stolz, ab und an als Verrückt zu gelten und Dinge zu tun die mir Spaß machen, eben wie diese Party.

An dieser Stelle muss ich mich bei meiner Familie und der Wohngemeinschaft bedanken, die mich in meinem Vorhaben moralisch und tatkräftig unterstützt haben. Es ist sicher nicht leicht wenn man mit vollem Verstand das kleine und mickrige Erbe in den Wind schießen sieht, aber erstens hatten SIE auch ihren Spaß und zweitens ist die Zeit des Erbens , trotz  AOK-Shopper, noch nicht gekommen. Was mir bleibt, ist eine Party die meinem realen Leben sehr nahe kommt. Wie der symbolische rote Faden im Leben haben sich die Acts des Abends aneinander Gereiht, nichts war perfekt für sich alleine und wir hatten vieles vergessen, aber in Summe war alles einfach eine tolle Sache und nicht´s hätte man missen mögen, hier und da gab es kleine Probleme oder Pannen, aber alles in Allem war es fantastisch…eben wie mein Leben! Und sollte mich jemand nach dem Motiv einer so irren Sache  fragen, und ob ich es wieder machen würde, so würde ich wie ein überzeugter Wiederholungstäter antworten.

Nach einigen Krügen Bier, aus dem immer noch geöffneten Getränkewagen löste sich meine verkrampfte Haltung und ich begann mit den Großeltern meines Enkels in lustiger Runde und den übrigen Freunden ein Resümee zu ziehen. Es war endlich Zeit, die Dinge nachzuholen die wir schlicht weg am vorigen Abend vergessen hatten. Das Lagerfeuer musste als nächstes entzündet werden. Die Flammen der Schwedenhölzer züngelten stilvoll um die aufgebaute Feuerstelle, diese war reserviert für die Holzhütte die wir eigens für unseren Tontechniker gezimmert hatten, auch sie wurde den Flammen geopfert. Da waren auch noch dreihundert Schokoriegel die nicht ihren Einsatz im Verzehr gefunden hatten, ebenso wie die fünf Flaschen Rum für die Cocktailbar. Sie hatten sich so geschickt versteckt, dass unser Shuttleservicefahrer am Partyabend kurzer Hand an einer Tanke neue Flaschen besorgte. Unerbittlich wurde von meine WG, mit dem Instinkt von Schatzjägern, nach weiteren ungenutzten Gegenständen und noch brauchbarem Material gefahndet. Es war eine Art Erbe das es zu verteilen galt. Und irgendwann fand da auch jemand die Luftballons, Ballongas war auch noch reichlich über. Irgendwie war ab diesem Zeitpunkt eine Stimmung wie auf einem Kindergeburtstag, keiner benahm sich seinem Alter entsprechend. Jeder wollte mal Micky Maus sein. Kichernd, ausgelassen und übermütig teilten wir die Reste und stellten Transportfuhren zusammen, um im Chaos noch zu einem geordneten Rückzug zu finden. In der ausgelassenen Stimmung gelang uns nur noch langsam und nach und nach die Aufteilung der Reste. Was aber keiner haben wollte waren die fast dreißig Müllsäcke und vielen leeren Pappkartons. Beim Anblick dieser Müllhalde war ich ehrlich überrascht wie viel Müll die kleine Gruppe der Gäste hinterlassen hat. Denn ehrlich gesagt ist bei mir nie der Eindruck entstanden, dass tatsächlich weit über dreihundert Personen uns die Ehre erwiesen haben. Durch geschickte Aufteilung des Platzes hat sich für jedes Grüppchen eine Nische ergeben und keiner stand dem Anderen auf den Füssen und auch die achtzig Sitzplätze waren permanent belegt. Die fetteste Bestätigung blieb aber der Müllberg mit den ca. dreißig Müllsäcken, die wir am Montag auf der angrenzenden Mülldeponie entsorgen wollten.
Die Planung war in allem perfekt und auch an die vom Platzvermieter vorgegebene Auflage, den Müll selber zu entsorgen, hatten wir gedacht. Aber da erlebten wir eine böse Überraschung! Je länger der Abend wurde, desto größer wurden die gegenseitigen Belobigungen die wir im  feucht fröhlichem Gelage gegenseitig aussprachen. In diesem Kreis hatte ich wohl den besten Part, den zum einen saß ich immer noch in meinem warmen AOK-Shopper, bestellte mit langweiligen Handzeichen weitere Biere, viel zu Konversation konnte ich, bedingt durch den Biergenuss, nicht mehr beitragen und brauchte bei der Restverteilung nur noch fröhlich nicken wenn ein weiterer Interessent für den Krempel gefunden wurde. Im Stillen war ich froh das Zeugs los zu sein, denn über ein halbes Jahr wurde das zusammengetragene Mobiliar in meinem Wohn- und Schlafzimmer, bis zur Party, zwischengelagert.

Das Schwedenfeuer brannte zum Boden durch, und wurde zur Nahrung der noch glimmenden Feuerstelle umquartiert. Nun loderten die letzten Reste unseres symbolischen „Zacheies“ (so wird im rheinländischen Brauchtum die ausgelassene Kirmesfreude zum Abschluss der Saison im Feuer bestattet) verbrannt.
Ich konnte keine Müdigkeit mehr spüren, ich hatte dieses Gefühl an den hinter mir liegenden Tagen derartig unterdrückt, dass es sich von mir entfernt hatte und ich die Symptome nicht mehr kannte. Irgendwie war mir aber etwas schwindelig im Kopf, meine Bewegungen beobachtete ich wie die eines Fremden in Zeitlupe. Die etlichen Krüge Kölsch (wobei ich mir sicher bin, dass man mir auch das ein oder andere Pilz untergeschoben hatte), an die ich mich erinnerte, gaben mir dennoch das Bewusstsein, mich dem albernen Treiben zu entziehen. Atze, bring mich bitte zu meiner Koje ins Wohnmobil, bat ich meinen Bettnachbarn der die letzten Tage zu mir stand und er schob mich in meinem albernen Gefährt zum „Bett“. Im vollen Besitz meiner geistigen Halbkräfte ließ ich mir noch einen letzten gute Nacht Drink (ALDI Tablette Magnesium) mixen. Der Genus dieser Droge sollte mir zu einem schmerzfreien Kopf und katerfreiem Morgen verhelfen. Ich trank ihn wie einen der edelsten Weine, mit der Gewissheit, etwas Gutes für meine Gesundheit getan zu haben. Und dann stieg ich in meinen konservativen Schlafanzug und legte mich in meine Koje.
Rolf im schwebenden Zustand, so kam ich mir vor. Doch es war ein anderes Schweben, alle Lasten waren an diesem Abend von mir genommen. Meine Freude schlug im Geiste Purzelbäume vor Glückseeligkeit, die Party endlich hinter mir zu haben, aber im selben Moment beherrschte mich eine tiefe Trauer, dass nun alles vorbei war. War nicht der Weg zu dieser Party der eigentliche Spaß und das Ziel? Die Planung, die Probleme, die Absprachen, die Besprechungen und das ständige Bangen, ob es denn wirklich klappt, war nun zu Ende.
Es war der blanke Horror nichts mehr an den Dingen, die ich verpasst habe nachregeln zu können. Es war vorbei! Wie eine heiße Herdplatte glühten meine Gedanken im Stress der Nachwehen und konnten nur langsam zur Ruhe kommen. Ich sah aus dem Fenster in den dunklen Nachthimmel, der mich in der Nacht vor der Party nicht schlafen ließ und erinnerte mich an den Partymorgen.



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